Freitag, 30. Dezember 2011

Die Tante Jolesch & das Café Hawelka, besticktes Kissen & Krautfleckerln


Die Tante Jolesch oder 'Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten'

ist ein 1975 veröffentlichtes Buch des österreichischen Schriftstellers Friedrich Torberg.
„Was ein Mann schöner is wie ein Aff, is ein Luxus.“ Dieser Ausspruch der legendären Tante Jolesch, aufgrund des unbestreitbaren Wahrheitsgehaltes nicht von der Hand zu weisen, ist wohl das berühmteste Zitat in dieser an „Sagern“ überreichen Anekdotensammlung über das alte, vergangene Österreich von Friedrich Torberg.

Es wimmelt nur so vor menschlichen Originalen, schrägen Käuzen und unerreichten Geistesgrößen in der Atmosphäre des ehemaligen habsburgerischen Kulturkreises, der Welt der Boheme in Wien, Prag und Budapest. Karl Kraus, Franz Molnar, Egon Friedell, Anton Kuh, Leo Perutz, Egon Erwin Kisch und Alfred Polgar – alle erwachen wieder zum Leben und kommen zu Wort. Sie ließen es sich auch zeitlebens nie verbieten.

Aber auch unbekannte Zeitgenossen werden dem Vergessen entrissen, wie der zerstreute Religionslehrer Grün oder der geistreiche Rechtsanwalt Dr. Sperber, der einst während einer Gerichtsverhandlung ausrief: “Herr Rat, mein Klient verblödet mir unter den Händen.“

Und natürlich die Tante Jolesch, die „überall a bisserle ungern“ war und den Lauf der Welt immer auf ihre ganz spezielle Weise kommentierte: „Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist.“

Ein Kapitel beschäftigt sich mit dem legendären „Prager Tagblatt“, wo übrigens Torberg Redakteur war, und seiner illustren Journalistenschar, die überall zu finden war, nur in der Redaktion nicht. Dort war sie eher selten anzutreffen. Dieses „Blattl“ wurde noch von meinem seligen Großvater abonniert, weil er sie für die beste deutschsprachige Tageszeitung seiner Zeit hielt.

Aber eigentlich ist dieses Buch eine Hommage an die vergangene große Tradition des Kaffeehauses und die ganz speziellen Atmosphären, die diese Begegnungs-, Debattier- und Streitstätten ausstrahlten. Herrenhof, Cafe Central oder der Demel, überall ist es nicht mehr so wie früher. Im Herrenhof schon gar nicht, weil das gibt es auch physisch nicht mehr.

Die besonderen Atmosphären verschwanden mit ihren Insassen, den bürgerlich-jüdischen Intellektuellen, die dem Rassenwahn hitlerscher Prägung wenn nicht zum Opfer, so doch der Vertreibung anheim gefallen sind. Und viele sind nicht mehr zurückgekehrt, sind dort geblieben wo sie die erzwungene Emigration hingeschwemmt hat – auch so eine Art Tsunami, wenn kollektive Wahnzustände erzeugt werden.

An dieser intellektuellen Auslöschung hat unser Land bis heute schwer zu kiefeln, ähnlich einem Biber, der in einem Sägewerk beschäftigt ist. Man/frau braucht nur einen Blick auf unsere Presselandschaft zu werfen. Den Zustand unseres politischen Gemeinwesens als weiteres Beispiel anzuführen, möglicherweise aus dem Fehlen eines Meinungsmarktes resultierend, finde ich inzwischen schon ein bisschen humorlos.

Kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung hätte gegen eine unterdurchschnittlich besetzte torbergsche Kaffeemannschaft auch nur das geringste Leiberl (und im Kollektiv schon gar nicht).

Torberg besticht durch eine unvergleichliche Leichtigkeit in der Sprache, ähnlich einer Welle (einer freundlichen Welle wohlgemerkt!), die einen mitnimmt und sachte an Land wieder absetzt. Stilistisch und grammatikalisch außerordentlich – an alle Sprachpolizisten: lasst die Colts stecken, Torberg war einer von euch.
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Die Tante Jolesch
ist vor allem eine Beschreibung von Kaffeehäusern in Anekdoten, zum Beispiel über das Café Hawelka.
Jahrelang traf sich hier die Creme der Wiener Kunst- und Literaturszene. Seit Mitte der 1950er Jahre war das Café Hawelka in der Dorotheergasse 6 "der" Anziehungspunkt für Wiens Geisteswelt: Friedrich Torberg trank dort seinen Mocca und verewigte das kleine Kafeehaus in seiner "Tante Jolesch".

Gestern las man auf Spiegel-online:

Kaffeehaus-Gründer
Leopold Hawelka ist tot
Es ist seit Jahrzehnten ein Treffpunkt für Künstler und Intellektuelle: Das Wiener Kaffeehaus "Hawelka". Nun ist der Gründer der Institution verstorben. Leopold Hawelka wurde 100 Jahre alt.

Leopold Hawelka in seinem Kaffeehaus

"Wien - Eine Legende der Wiener Kaffeehauskultur ist tot. Leopold Hawelka, Gründer des gleichnamigen berühmten Treffpunkts von Künstlern und Intellektuellen, starb am Donnerstag im Alter von 100 Jahren an Herzversagen, wie seine Tochter Herta Hawelka der Nachrichtenagentur dpa sagte. Ihr Vater gründete das nur 80 Quadratmeter große Café Hawelka 1939. "Bis vor Weihnachten letztes Jahr war er jeden Tag dort", sagte die Tochter.
Mit seinen nikotinvergilbten Wänden, Plüschsofas und charmant-übellaunigen Kellnern zog das Hawelka Künstler wie Andy Warhol, André Heller und Friedensreich Hundertwasser oder Dichter wie H. C. Artmann und Ilse Aichinger an. Das Café wurde auch zum etablierten Programmpunkt für viele Touristen und Politiker auf Wien-Besuch, darunter etwa Hans-Dietrich Genscher, Bill Clinton und Václav Havel."
luk/dpa

Pressestimmen zum Buch

»Ein nobles, schönes, lustiges, trauriges Buch. Eine kleine Recherche der verlorenen Zeit, das Panorama einer gewitzten und geistesgegenwärtigen Menschlichkeit.«
Dieter Hildebrandt, Die Zeit

»Kaum ein dicker Roman könnte fassen, was sich hier durch das Ventil des sprachlichen Witzes in bewegte Miniaturen umsetzt.«
K. H. Kramberg, Süddeutsche Zeitung
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Hier mein Lieblingszitat rund um die Tante Jolesch:

"Tante Joleschs Krautfleckerln

Jahrelang versuchte man der Tante Jolesch unter allen möglichen Listen und Tücken das Rezept ihrer unvergleichlichen Schöpfung herauszulocken. Umsonst, sie gabs nicht her............
Und dann also nahte für die Tante Jolesch das Ende heran, ihre Uhr war abgelaufen, die Familie hatte sich um das Sterbelager versammelt, in die gedrückte Stille klangen gemurmelte Gebete und verhaltenes Schluchzen, sonst nichts. Die Tante Jolesch lag reglos in den Kissen.Noch atmete sie.
Da faßte sich ihre Lieblingsnichte Louise ein Herz und trat vor. Aus verschnürter Kehle, aber darum nicht minder dringlich kamen ihre Worte: " Tante - ins Grab kannst du das Rezept ja doch nicht mitnehmen. Willst Du es uns nicht hinterlassen? Willst Du uns nicht endlich sagen, wieso deine Krautfleckerln immer so gut waren?
Die Tante Jolesch richtete sich mit letzter Kraft ein wenig auf: "Weil ich nie genug gemacht hab....."
Sprachs, lächelte und verschied."



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Besticktes Kissen
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Wir reichen heute: "Krautfleckerln-Häppchen"nach Senta Berger

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Senta Berger

Rezept des Lebens
DIE ZEIT, 20.11.2008 Nr. 48

»Fleckerln« sind Nudeln aus Österreich. Mit Weißkraut sind sie ein Arme-Leute-Gericht. Doch die Mutter konnte eine Delikatesse daraus machen

Krautfleckerln isst die Schauspielerin heute noch gerne. Ihre Mutter hielt sie früher unter den Bettdecken warm, bis die Tochter aus der Schule kam
Ich bin mit der sogenannten Arme-Leute-Küche aufgewachsen. Wiener Schnitzel nämlich gab es nur am Sonntag, wenn mein Vater mittags zu Hause war. Das heiße Öl in der Pfanne zischte nur so, wenn meine Mutter die panierten Schnitzel in die Pfanne warf. Mein Vater saß bereits am Tisch und trommelte leicht ungeduldig mit der Gabel gegen den Teller. Die Schnitzel meiner Mutter
waren sein Lieblingsgericht.
Meine Lieblingsgerichte dagegen waren die, die meine Mutter unter der Woche kochte: Eiernockerln mit zuckersüßem grünen Salat, Spinat mit Petersilkartoffeln oder nur Kartoffeln (natürlich sagten wir »Erdäpfel«) mit Salz und Butter. Süße Tomatensauce (natürlich hieß das »Paradeissauce«) mit kleinen Knödelchen, außerdem Bröselnudeln mit Zimt und Zucker, dazu Apfelkompott… Und am liebsten, am allerliebsten: »Krautfleckerln«.
Meine Mutter hatte zwei Schwestern, die auch wunderbare Köchinnen waren, und jede bereitete die Krautfleckerln anders zu. Kopfschüttelnd hörte meine Mutter, dass die jüngere Schwester anstelle von Piment Pfeffer verwendete. Und dass die andere, schlimmer noch, Kümmel dazugab!
Meine Mutter kochte für gewöhnlich am Abend, wenn sie von ihrer Arbeit nach Hause kam. Ich saß dann meistens bei ihr in der Küche und machte meine Hausaufgaben. Ach, wie gemütlich war das!
Der Duft des langsam gedünsteten Krauts aus dem großen Topf, dessen Deckel nur lose aufliegen durfte! Meine Mutter stand am Herd und rührte immer wieder mit dem großen hölzernen Kochlöffel das geschnittene Kraut, das langsam braun wurde. Das langsame Dünsten nämlich ist die Kunst bei den Krautfleckerln. Man muss sich Zeit nehmen. »Nicht naschen, Senta« sagte meine Mutter, wenn ich es versuchte, »das gibt’s erst morgen.«
Die fertigen Krautfleckerln kamen in einen Topf, der wurde mehrfach in Zeitungspapier eingeschlagen und unter zwei Bettdecken warmgestellt. Das war mein Mittagessen für den nächsten Tag, wenn ich von der Schule kam. Meine Mutter wollte nicht, dass ich das Essen am Gasherd aufwärmte. Sie hatte Angst vor dem Gas – und ich auch.
Heute, nach dem Tod meiner Mutter, mache ich auch hin und wieder Krautfleckerln.Dann nehme ich mir die Zeit. Und wieder sind die Fleckerln die Lieblingsspeise meiner Kinder geworden, obwohl ich sie nicht ganz so gut mache wie meine Mutter. Nahm sie mehr Zucker, weniger Essig? Mehr Schmalz, weniger Öl? Sie kochte ja nie nach Rezept. Wenn ich fragte: »Wie machst du das?«, kam die klassische Antwort: »Na, da nimmst a bissl was davon und dann a bissl was davon… Schau, ich weiß es nicht, das hat ma halt im Gfühl.«

Zubereitung

Öl und Schmalz (zu gleichen Teilen) in einem Topf erhitzen, 60–100 g Zucker darin dunkel karamellisieren.
150–250 g fein geschnittene Zwiebel beigeben, durchrösten. 600–800 g Weißkraut in circa 1 cm große Quadrate schneiden und ebenfalls mitrösten,
mit etwas Wasser oder Suppe aufgießen,
mit Salz und Piment würzen.
Etwa 30 bis 40 Minuten lang fertig dünsten, dabei trocken halten, umrühren, nicht anbrennen lassen!
200–250 Nudelfleckerln kernig kochen, mit dem Kraut vermengen.
(Die Fleckerln am Besten beim Türken kaufen oder eben in Österreich. Nicht die großen vom Italiener nehmen!)

Die Schauspielerin Senta Berger, 67, wuchs in Wien auf. Ihre Vorfahren kommen aus Ungarn und Jugoslawien – wie viele Gerichte der österreichischen Küche

4 Kommentare:

  1. vielen dank für das alles! scheint ja ein wirklich interessantes buch zu sein. ich kannte daraus bisher nur ein zitat, dass ich aber auch sehr schön finde und kürzlich jemandem ins poesiealbum schrieb:

    " alle städte sind gleich, nur venedig ist ein bisserl anders."

    guten rutsch und alles gute für 2012!
    sabine

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  2. Wie ich dieses Tante Jolesch Buch liebe! Und Krautfleckerln! Ich bade in diesem Post!!!

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  3. "Kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung hätte gegen eine unterdurchschnittlich besetzte torbergsche Kaffeemannschaft auch nur das geringste Leiberl (und im Kollektiv schon gar nicht)." Sehr charmant ausgedrückt - wienerisch eben!

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